war der winter.
es sind dinge passiert.
und dinge sind nicht passiert.
und nun passieren andere dinge.
das bemerkenswerte – nur hier eigentlich nicht – ist, dass ich nicht schrieb.
dass ich nur anderswo ein wenig auf tasten drückte, ohne daran besondere hingabe zu setzen. aber nicht, weil es nicht genug zu schreiben gegeben hätte, eher zu viel.
ich habe nun einige stunden im wald verbracht.
der wald ist sehr still und man geht mit ihm in resonanz. was einem bäume vermitteln, ist so leise, dass man mit denken schon zu viel geräusch machte.
aber an einem punkt ergab es sich, dass ich einen text darauf verfasste. und den kopiere ich hier rein.
alles andere ist vorerst nur bild.
wohlan, ihr knospen!
Februar 2016
es hat all die jahre gebraucht, um zu verstehen, inwendig und gesichert, woraus der glanz des winters besteht.
ich gehörte zu den leuten, die den „winter hassen“; für mich bestand er aus frieren bis frösteln, matsch, dunkelheit, knochentiefem unbehagen. aus eile, überschüssiger wohnwärme, glühenden reflexen – eine verkehrte welt. nur den übrigen jahreszeiten erkannte ich das recht an, mich zu erfüllen. der winter war mir nur tod, schlaf, allenfalls hoffnung und warten auf das licht.
in diesem jahr musste ich hinab, in die tiefen. durch äußere umstände angetrieben, verlagerte sich mein leben auf outdoor. zunächst linkisch in der wahl der kleidung, lernte ich allmählich genug anzuziehen. zu tolerieren, dass die stoffschichten meine gangfreiheit schmälern, zu tolerieren, dass stirnband oder mütze die haut kratzen, dass die handschuhe beim überziehen an den eisig-klammen fingern entlangstottern.
ich lernte, mit ingwerbonbons und warmgetränk aus dem haus zu gehen, und mit der schrittgeschwindigkeit den innenofen anzuschüren. nun, das können viele andere auch, und eleganter, ich aber lernte es eben erst jetzt.
das tor zur neuen welt war außerhalb der stadt. kein wunder, dass ich es früher, beim sonntäglichen, melancholischen straßen-abgehen nicht finden konnte. die wahre winterwelt ist außerhalb der menschensiedlung. sie ist im wald.
dort, wo alles besser, natürlicher, heiterer angepasst ist, als wir menschen es können, wo der winter ohne wertung ein- und austritt.
und nun stehe ich also da, auf den waldwegen, links und rechts das geäst. ich krabbele die hänge hinunter, dorthin, wo das licht von fahl zu grau wird und die ununterscheidbarkeit des trockenrostigen blättermeeres beginnt. ich bücke mich unter liegenden stämmen hindurch, krabbele unter ihre dornigen ausläufer. die füße sinken in die weichen, knisternden untergründe. um mich das klackern der aufgewühlten hölzer, über mir das beständige beinaherauschen der kronen.
das kahle hebt sich empor, hebt mich empor. der blick reicht so weit in den himmel, wie nie zuvor, kein prunk verstellt die sicht. ranke um ranke, zweig um zweig, stamm neben stamm – nur der kontrast eröffnet noch die tiefe, an tagen, an denen keine schatten konturieren, weil es kaum licht gibt.
ich laufe und laufe. mal auf den wegen, mal im unterholz. die aufgebrochenen erdmulden mit ihren still spiegelnden pfützen treiben mich an die wegränder, ins gestrüpp; zweige kletten sich an meine beine und halten mich wie sehnsüchtige geliebte fest, eh ich mich losreiße und weiter gehe. der fuß sinkt in den nachgiebigen boden, glitschige schichten bringen mir balance bei. leuchtende lichtungen rufen den blick nach abseits, in die tiefen der nebenwege. zu allen seiten lädt der wald zum eintreten ein, mit seiner leisen, sprechenden unweite.
das auge, nach vorne betört, beginnt sich nach oben zu richten. es wandert an den stämmen entlang in die höhe. die wucht der schwarzen körper, ihr erhaben fester stand, ihr streben – sie nehmen mich mit. ich bin nun oben, in den wiegenden kronen, und der tiefe himmel neigt sich zu uns. am fuß, an der wurzel, an der moosigen, strammen ader des wurzelwerks, im weichsten moos gekleidet, da erfahre ich, dass der baum und ich eins sind. und weil der baum nie baum, nur wald ist, bin ich wald.
hier, wo kein schmuck mehr wirkt, wirkt die filigrane mehrdeutige schmucklosigkeit. das bare schwarz-weiß wird zum leuchtenden allmöglichen. auf dem hintergrund der fahlen unfarbe leuchten das grün der tausend moose und der rost des vorjahreslaubes schillernd hervor.
ich bücke mich, streichle die samtenen gründecken. küsse die zarten enden und spüre den halt der geflechte am wirtsholz. ich fahre mit den handflächen über die rinden, die glatten, fast schimmernden grauen häute, die dörren, rissigen, mäandernden.
an den zweigen flirren mich trockenrote altblätter an, die letzten wachen des vorjahres. in den astlöchern wohnt die stille der alten anfänge und das jetztsein des wartens. es riecht, alles riecht, in vielen anderen arten der erde, des wassers – humus.
und dann ahne ich, dass es die struktur ist, die mir geschenkt wird. dass ich erst jetzt angesichtig werde, als schlüsselte sich die datei auf, sich selbst, und die zahlenreihen der natürlichen muster entfalteten sich für mich. ich darf lesen, ich sehe hinauf und lese die inscriptio. zweig und ast und gabel. sprossen, triebe, die noch ungesehen warten, wenn die schrift ihre eine stelle findet, aus ihr hervorzutreten. latenz wartet auf manifestation.
ich verstehe, dass es ein programm ist, das ich sehe. dass ich es nie knacken kann, so sehr es sich selbst unter meinen füßen ergibt. es bleibt ein mysterium, wie das alles verwoben ist, und zählte ich auch alles aus einem stamm hervortreibende, und multiplizierte es mit allem anderen, was ich weiß, ich wüßte immer nur noch weniger.
über mir
sind nur muster. neben mir. das leben. das ungesagte. die grundstruktur allen daseins, synaptische wegscheiden, wobend in ihre spalten und übergängen federnd. ein unbekannter impuls, der von einer entität zur nächsten wabert, ohne unterlass und ohne kümmern um mein verstehen – und dennoch, mich nicht ausschließend. obwohl ich in tiefster ratlosigkeit am fuß eines pulks schwarzer riesen stehe, obwohl sie in den himmel ragen und ich nur die erde kenne, dennoch – ich bin eins von ihnen, mit ihnen. ich mag knien – und tue es dann auch. ich knie auf dem blätterboden, weil ich nicht klein genug sein kann, um diese größe mich anbranden zu lassen. das meer über mir rauscht behäbig und heiter, bodenlos hoch und pfahltief verankert.
ich bin nur ein hauch, ein hauch in diesem wald, ein gast. ein alien, auf unzweckmäßige ansichten angewiesen. ich sehe äste, ich sehe muster, größenordnungen, bewegungen, schwingungen.
ich oszilliere mit, ein molekül, eingestreut in eine galaxie, bedeutungslos, wie alles, und doch bezwingt mich die potenz, die weite der bedeutungsmöglichkeiten.
hier also ist die wahre kathedrale. wie wir menschen nur dies haben nachahmen wollen, mit unseren tempeln und kuppeln!
hier allein ist der ort, an dem die re-ligio geltend gemacht werden kann, nur hier, wo ich gar nicht bin, kann ich sein, und wo ganzes atmet, teilhaft werden.
so danke ich allem, was dank annehmen will, dafür, dass mir diese sicht ermöglicht wurde. dass ich einmal ein echtes gebet sprach. eins, von dem ich nichts wusste, eins, in dem ich nicht bat, eins, in dem ich nur die wucht der welt anerkannte.
und ich werde zurückkehren. einige bäume, einige lichtungen, haben mir ein besonders hingeneigtes summen vermittelt. sie haben gesagt, ich solle wieder kommen. damit ich die ersten knospen sehe, spüre, rieche. damit ich das auferstehungsfest mit ihnen feiern kann.
ich werde zurückkehren, solange ich am leben bin. dorthin, wo das leben selbst ist. und ihre, erst jetzt für mich sichtbaren matrices.
man könnte irre werden vor lautlosem glück. ist teil des ganzen.
und das ganze ist teil des selbst.
(ll/mm)